Neu wiedergesehen: Berlin Babylon (2001)

2005-11-12
Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass freie oder missliebige Orte in einer Stadt so schnell wie möglich neu um- oder bebaut werden müssen. Nirgendwo erreichte dieses Gesetz eine Gültigkeit wie in den neunziger Jahren in Berlin. Nachdem die Mauer gefallen und abgetragen war, gab es Brachen von ungeheurem Ausmaß in der Stadt: Der Potsdamer Platz war ein freies Feld, der Alexanderplatz sah in den Augen des Westens wie ein Platz ohne jegliche Funktion oder Relevanz aus; der Todesstreifen der Berliner Mauer zog Furchen durch Gebiete, die vor 1989 Randbezirke waren und sich plötzlich in der Innenstadt wiederfanden - vom ungeliebten Schmuddelkind der Stadt plötzlich zu Bezirken wurden, die auch für Investoren interessant wurden.

Berliner Fernsehturm Hubertus Siegerts Film Berlin Babylon beobachtet die Versiegelung dieser Wunden im Zeitraum von 1996 bis 1999 - zumindest beobachtet er das, was sich Archtitekten, Baustadträte, Staatssekretäre und Investoren unter dem Neubau einer in ihren Augen zerstörten Stadt vorstellen.

Siegerts Film kommt ohne Kommentar aus, er lässt die Protagonisten des Neubaus frei sprechen und bezieht seinen eigenen Standpunkt in dieser Diskussion durch die von Ralf K. Dobrich und Thomas Plenert wundervoll fotografierten Bilder. Die Kamera nähert sich der Stadt aus allen Himmelsrichtungen, Kameraflüge entlang der “Längsten Baustelle der Welt” oder Straßenbahnfahrten durch den Berliner Osten zeichnen ein Bild der Stadt, das die meisten Berliner Einwohner so nicht kennen dürften: Die großen Baugruben der Stadt im Umbruch, Kamerafahrten durch große Hinterhofanlagen, Bilder von Zusammenbruch und Neuentstehung.

Ansonsten lässt Siegert den Entscheidern in seinem Film freie Hand, er lässt Architekten wie Rem Koolhaas, Helmut Jahn, Renzo Piano und Axel Schultes zu Wort kommen, lässt sie erklären, wie sie sich das neue Berlin vorstellen - und warum. Im Spannungsfeld zwischen Geschichte und Neuem, zwischen Politik und den Kreativen schimmert immer wieder die Frage durch, wie das Neue in die Vergangenheit der beiden Städte Berlin passt - bis hin zu den Verfechtern des Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses, die sich als Bewahrer eines Stadtbaus des späten 19. Jahrhunderts zeigen, aber auch zu den Bauherren der Niederländischen Botschaft, die sich nicht an die alten Berliner Baudogmen halten wollen.

Originalaufnahmen aus den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren zeigen auf, wie es zu diesen Löchern im Stadtbereich gekommen ist, Aufnahmen aus den frühen neunziger Jahren zeigen, wie neue Löcher hinzugekommen sind - faszinierende Bilder von Sprengungen typischer Gebäude für die jeweilige Zeit.

Der Film lässt offen, ob er sich für die Bewahrung des Alten, der behutsamen Anpassung oder dem Neubau fern aller lokalen Begebenheiten ausspricht - diese Entscheidung bleibt dem Zuschauer überlassen. Die Protagonisten geben ihm eine Entscheidungshilfe zur Hand, der Zuschauer dürfte sich nach dem Film dennoch nicht sicher sein, wo er in der Stadt steht. Ein sehr lohnenswerter Film - vor allem für diejenigen, die diese Zeit in Berlin erlebt haben.

Und über allem liegt die Musik der Einstürzenden Neubauten, die sich perfekt in die Industriegeräusche und -bilder in diesem Film einfügt. Eine großartige Dokumentation, die man sicherlich schwer vergißt; spätestens der nächste Berlinbesuch ruft die Bilder wieder hervor.

Geschrieben um 14:31

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Promispotting im ICE 1512

2005-11-12
Gestern: Sarah Kuttner.

Geschrieben um 00:54

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