Dann ist elektronische Musik an meinem Ohr

2005-11-25
1995 stirbt Reinhard Furrer unter ungeklärten Umständen bei einem Flugzeugabsturz. Zehn Jahre vorher wurde er als einer der beiden deutschen Astronauten berühmt, die die erste europäische Spacelab-Mission an Bord der Raumfähre Challenger betreuten. Was seinen Weltraumflug auszeichnete: Furrer führte ein Tonbandtagebuch über seine Mission, in dem er seine Gefühle und Eindrücke während seiner ganzen Reise festhielt. Zwanzig Jahre nach diesem Flug bereiteten Andreas Ammer und Martin Gretschmann dieses Tagebuch zu einem Hörspiel auf.

Bild der Erde aus dem WeltraumFurrers Diktaphonaufnahmen werden in diesem Hörspiel über verhaltene Beats gelegt, stellenweise werden seine Worte aus dem Zusammenhang gerissen und in die Musik gemixt; zum größten Teil gibt man seinen Worten aber den Platz, den sie benötigen. Jetzt — ziemlich genau zwanzig Jahre nach Furrers Weltraumreise — heben Ammer und Console dieses Hörspiel im Rahmen einer kleinen Tour auf die Bühne.

24. November 2005, München, Kranhalle im Feierwerk: Im Hintergrund ein Bild der Raumfähre Challenger, auf der Bühne geben sich Apple-Notebooks und elektronische Instrumente ein Stelldichein. Unterstützt von Sänger und Gitarrist Axel Fischer und der Sängerin Miriam Osterrieder lassen Ammer und Console den Astronauten Furrer von seiner Reise erzählen. Nahe am Hörspiel — gestützt von Videoeinspielungen, die Furrers Flug von der Vorbereitung bis zur Landung begleiten — wird eine extended Version des Stücks aufgeführt. Durch den eng gesteckten Rahmen wirkt das Konzert eher wie ein Kammerspiel, ein Hörspiel zum zuschauen.

Spaceman 85 lässt den Musikern wenig Platz für Improvisationen, ruhig stehen sie auf der Bühne und bedienen ihre Instrumente — über allem Furrers Reportage über seinen Flug. Das faszinierende an dieser Reportage ist die ruhige Stimme Furrers, mit der er seine Eindrücke schildert. Im Gegensatz zum Hörspiel, in dem der Zuhörer die Bilder in seinem Kopf entstehen lassen muss, werden hier auf der Bühne einige der Bilder, die Furrer vor Augen hatte, gezeigt. Erstaunlicherweise schadet das der Aufführung nicht, im Zusammenspiel mit der Livemusik werden die Bilder im Kopf eher gestärkt denn geschwächt.

Eine faszinierende Aufführung, die Lust auf mehr Hör- und Sehspiele dieser Art macht. Zu hoffen bleibt, dass das Radio genügend Mut aufbringt, solche Stücke weiter zu fördern und zu produzieren — und sie einem Publikum nahe zu bringen. Selbstgemachte Bilder im Kopf sind manchmal doch das bessere Fernsehen.

Geschrieben um 00:45

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