Besitzer von MP3-Playern sind Verbrecher

2007-01-28
So zumindest mutmaßt Bernd Graff in “Das Internet ist eine Kopiermaschine”, Süddeutsche Zeitung vom 27. Jan 2007, Seite 13. Dieser Artikel ist der 6. Artikel in der SZ-Serie zum Thema Onlinekriminalität. Und der bisher am schlechtesten aufbereitete - mangelnde Recherche mag ich Herrn Graff nicht vorwerfen, höchstens Einseitigkeit und Fantasiemangel.

Stellen Sie sich bitte mal einen dieser schicken MP3-Player vor, wie sie derzeit überall verkauft werden. Darauf kann man digitalisierte Musik abspeichern, auf den größten Playern an die 20 000 Songs. Wenn wir annehmen, dass ein Song etwa einen Euro kostet, dann tragen Besitzer der speicherstärksten Geräte Musik bis zu einem Wert von Luxusuhren oder Mittelklassewagen in der Hosentasche. Glaubt das jemand?

Lieber Herr Graff, warum sollte man das nicht glauben? Ich bin nun wahrlich nicht der einzige, der eine solche Menge an Musik tatsächlich sein eigen nennt. Und woher wissen Sie eigentlich, was der Besitzer eines solchen Players dort gespeichert hat? Wenn ich mir alleine die Unmengen an Podcasts angucke, die nur von den öffentlich-rechtlichen Sendern angeboten werden, wenn ich mir vorstelle, wieviele Hörspiele wöchentlich im Radio angeboten werden, die man aufnehmen kann, ganz abgesehen von Klassikkonzerten - wieso sind dann solche Mengen an Musik- und Sprachdaten unvorstellbar?

Glaubt jemand ernsthaft, dass Musikfans für ihr Faible 20 000 Euro investieren? Dass ihre Geräte ausschließlich mit gekaufter Musik gefüllt werden? Oder ist es nicht vielmehr so, dass man über die Herkunft der Songs schweigt, weil sie mutmaßlich immer aus “Musiktauschbörsen im Internet” stammen?

Herr Graff, ich glaube auch nicht, dass jemand, der täglich 10km zu seinem Arbeitsplatz fährt, dazu ein Auto benutzt, welches 20 000 Euro kostet. Alleine die beobachtete Realität lehrt mich da anderes. Und ich schweige auch nicht über die Herkunft der Songs, die sich auf meinem Computer oder meinem Player befinden - warum sollte ich? Und was Ihre Mutmaßung dort betrifft - was, wenn ich das persönlich nehme?

Schauen wir doch einfach mal, was so alles auf meinem Computer/MP3-Player vorhanden ist. Dort finde ich momentan die letzten 7 CDs die ich mir gekauft habe und auch unterwegs anhören möchte. Ein paar Hörspiele liegen dort herum, die aus dem Radio aufgenommen wurden. Ein paar weitere Songs oder komplette Alben, die von den Musikern auf ihren Webseiten zum Download angeboten werden. Und es finden sich 10 Konzerte, die von Taper friendly Bands kommen. Richtig. Legales Filesharing - darauf geht Herr Graff aber im Rest seines Artikels nicht mehr ein. Vielmehr beginnt er seine Erläuterungen zu peer-to-peer-Netzwerken wie folgt:

Damit das aber ein für allemal klar ist: Es gibt im Internet keine Musiktauschbörsen. Auch keine Filmtauschbörsen. Denn getauscht wird dort nicht. Sobald etwas über solche Börsen wandert, wird es vervielfältigt. Auch die englische Entsprechung, “Filesharing”, ist irreführend. Was nach St. Martin und fürsorglich geteiltem Mantel klingen will, meint nichts anderes als verlustfreies Klonen: Zwei Mäntel also, wo zuvor nur einer war. Klar, so teilt jeder gerne.

Danach folgt das allgemein Bekannte: Von dem Beginn dieser Tauschbörsen mit Napster über den Boom dank Breitband, durch den jetzt auch Filme und illegale Software verschoben werden, über die juristischen Probleme bis hin zu aktueller P2P-Software: Bittorrent.

Aber der juristische Zugriff wird bedeutend schwerer. Weil nur Einzeltransfers verfolgt werden können, aber nicht das gesamte System. Das gilt besonders für die BitTorrent-Dienste - und damit für das in Deutschland mit über 50 Prozent am häufigsten eingesetzte Verfahren zum “kollaborativen File-Sharing.”

Nun ist aber gerade Bittorrent die Software, die von sehr vielen Softwarefirmen benutzt wird, um ihre Software zum Download anzubieten. Auch völlig legal. Und auch hier ist es sicherlich eine Vervielfältigung und kein Tausch, aber Herr Graff übersieht in seinem Text generell, dass es auch legale Anwendungen gibt.

Ich muss Herrn Graff ja auch in großen Teilen zustimmen, mir geht die Nonchalance, mit der im Netz kopiert wird, auch gegen den Strich. Aber seine Pauschalierung “Alles im Netz gesharete ist illegal” geht mir genauso gegen den Strich, da dies einfach nicht wahr ist. Ich halte den Artikel (der Online leider nur für Abonnenten verfügbar ist) für zu tendenziös. Und er zählt auch nicht die Gründe auf, aus denen sich viele für die einfachere Kopie aus dem Internet entscheiden.

Insofern sind die drastisch formulierten Anti-Piraterie-Kampagnen der Musik-, Software- und Film-Industrie gegen die Schwarz-Downloads nachvollziehbar.

Außer eventuell für den, der tatsächlich 20 000 Euro für “sein Faible” ausgegeben hat. Kopiergeschützte CDs, die nur noch auf CD-Playern funktionieren, aber nicht mehr auf Laptops abgespielt werden oder für den MP3-Player aufbereitet werden können. Besorge ich mir die Kopie, dann habe ich diese Probleme nicht. Gleiches gilt für DVDs: Die Originale haben einen Kopierschutz und einen Regionalcode, die Kopien nicht. “Anti-Raubkopierer-Spots” auf DVDs und im Kino sind dann direkt der nächste Schlag ins Gesicht des Kunden, der gerade Geld für DVD oder Kinobesuch ausgegeben hat. Derjenige, der sich die Kopie aus dem Netz gezogen hat, sieht dieses auch nicht. Und genau das ist es, was mir an dem Artikel fehlte: Wenn die Industrie mich als Konsumenten nicht ernst nimmt, sondern mich in meinen Rechten beschränkt oder sogar Rootkits auf meinem Rechner installieren will - warum soll ich dann die Industrie noch ernst nehmen?

Gut, im letzten Absatz wird noch einmal darauf eingegangen, dass die Zahlen, die von der Industrielobby genannt werden, durchaus mit einem kritischen Auge betrachtet werden sollten, aber Graff erwähnt nirgendwo, dass diese Industrie das Internet verschlafen hat und immer weitergehende Rechtebeschränkungen der Verbraucher fordert und fördert. Tut mir leid, von einer Zeitung wie der Süddeutschen erwarte ich ein höheres Niveau.

Zum Schluss: Das wohl illegalste, was sich gerade auf meinem Rechner befindet, sind übrigens Aufnahmen der “Theme Time hour with Bob Dylan”-Radiosendung. Doch diese bekomme ich a) nicht zu kaufen und könnte sie b) hier ebenfalls aus dem Radio mitschneiden, wenn ich sie empfangen könnte. Bekommt die Musiklobby ihr Recht, ist es dann damit wohl auch bald vorbei: In Amerika klagen gerade verschiedene Unternehmen der Musikindustrie gegen das digitale Radio XM, da es seinen Nutzern erlaubt, Musikstücke aufzunehmen. Wahrscheinlich alles nur zum Vorteil der Verbraucher. Bestimmt.

Geschrieben um 18:18

[/medien] [permanent link] [Startseite]

Creative Commons License
This work is licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-Share Alike 2.0 Germany License.